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Beruflicher Neustart im ÖPNV

Nachhaltige Mobilität ist die Mobilität der Zukunft. Öffentliche Verkehrsmittel wie Bus und Bahn haben weit geringere CO₂-Emissionen als Pkw und Motorräder. Doch gerade der Nahverkehr, der einen wesentlichen Beitrag zu einer klimafreundlichen Verkehrswende leistet, hat mit einem gravierenden Mangel an qualifizierten Fachkräften zu kämpfen. Deshalb haben Verkehrs­unternehmen schon vor einigen Jahren damit begonnen, ­Quereinsteiger*innen selbst auszubilden. Wer sind diese „Umsteiger*innen“, die früher etwas ganz anderes gemacht haben, und wie geht es ihnen heute an ihrem neuen Arbeitsplatz? los!-Autorin Friederike Neermann hat drei von ihnen – einen Lokführer, eine Busfahrerin und einen Busfahrer – begleitet.

Das Signal schaltet auf Grün und der Zug setzt sich erst langsam, dann immer schneller in Bewegung. „Rangierfahrt beendet, jetzt beginnt die Zugfahrt“, sagt Triebfahrzeugführer Gordon Doyen und lehnt sich kurz zurück. Gespannt verfolge ich unsere Strecke quer durch Hamburg. Ein Hamburg, das ich aus dieser boots­ähnlichen Perspektive noch nie gesehen habe.

„Die erste Fahrt habe ich wie in Trance erlebt“, erzählt Gordon. „Fast mechanisch habe ich das Fahrzeug bewegt und dabei Blut und Wasser geschwitzt. Was heute Routine ist, war zu Anfang unfassbar herausfordernd.“ Gut nachvollziehbar, denke ich, als wir uns dem Hamburger Hauptbahnhof nähern und ein Meer von Gleisen vor uns liegt.

 

Und dann muss ich sie einfach stellen, die Anfängerfrage: Woher weißt du eigentlich, welches Gleis das richtige ist? „Diese Frage wird tatsächlich häufig gestellt. Das Stellwerk bestimmt die Strecke“, klärt Gordon mich auf. „Wenn ich aufgrund meiner Streckenkenntnis allerdings eine Abweichung ­feststelle, rufe ich die Fahrdiens­tleitung an.“ ­Verfahren ­können wir uns also schon mal nicht.

Wir tauchen in die Dunkel­heit des Hauptbahnhofs ein und sehen Hunderte von ­Menschen, die wartend an den Bahnsteigen ­stehen. „Das Ding zu fahren, ist keine ­große Kunst“, sagt Gordon, „aber den Überblick zu behalten und die ganzen Regeln des Fahrbetriebs zu kennen, das ist das Reizvolle an meinem neuen Beruf.“

„Die Kunst ist, den Überblick zu behalten“

Wioletta Omilian quetscht sich mit ihrem Gelenkbus unerschrocken durch die schmalen Straßen am Kieler Südfriedhof. „Jetzt holen wir meine Kinder ab“, sagt die 39-Jährige fröhlich. Wie schön, sage ich von der ersten Sitzbank hinter ihr, wenn die Fahrtrouten gerade so passen, dass auch die eigenen Kinder mitfahren können. „Nein, nein“, sagt Wioletta, „ich meine die Schulkinder, die ich auf dem Weg einsammele.

Ich freue mich immer so, sie zu sehen.“ Als sie kurz darauf die Türen öffnet, schwappt eine Welle Grundschüler*innen in den Bus hinein, lachend und lärmend. Wioletta wartet, bis alle ihren Platz gefunden haben, und fährt achtsam weiter. Seit Anfang August verstärkt Wioletta als eine von zehn Busfahrerinnen das Team der Autokraft GmbH in Kiel. Nervös ist sie dabei nicht. „Ich mag Autofahren, und ich mag Busfahren. Die Arbeit belastet mich gar nicht, sie fühlt sich nicht wie Arbeit an. Ich komme mit dem Fahrzeug gut klar und habe tolle Kolleg*innen und Team­leiter*innen, die mich immer unterstützen.“

Einer von ihnen, der schon seit ­vielen ­Jahren dabei ist, ist der ­44-jährige Rustam Dzagaschtov. Rustam scheint so schnell nichts aus der Ruhe zu bringen: nicht der kribbelige Auszubildende, den er heute auf der ­Strecke anleitet, nicht der Fotograf, der ihm ein Lächeln entlocken will, nicht die fragende Reporterin. „Bei meiner Arbeit muss man mit dem Kopf immer voll dabei sein“, sagt er, „und ein Gespür für Menschen haben: Denn die Fahrgäste können auch eine ganz schöne Herausforderung sein.“

„Ich mag Busfahren“

Während Rustam mit einem Auge die Strecke, die fortschreitende Zeit und den Lehrling am Steuer im Blick behält, erklärt er mir, was es braucht für diesen Job in Bewegung: „Wir sind absolute Multitasker. Wir steuern das Fahrzeug entlang einer festgelegten Route in einem vorher bestimmten Zeitraum, wir kontrollieren und stellen Fahrkarten aus und achten auf die Fahrgäste, die sich bei uns im Bus befinden. Im Notfall müssen wir uns mit Erster Hilfe auskennen und auch kleinere technische Störungen am Fahrzeug beheben können.“

Das klingt für mich nach einem Jongleur, der viele verschiedene Bälle gleichzeitig in der Luft halten muss – was stets leicht aussieht, aber ein hohes Maß an Konzentration, Fokus und Ruhe erfordert. Im Unterschied zur Zirkusmanege befindet sich der Busfahrer – oder wie im Fall von Wioletta die Busfahrerin – dabei jedoch nicht in einem abgeschirmten Bereich, sondern immer unmittelbar im Kontakt mit den ­Mitmenschen.

Für Wioletta ist das einer der Gründe, warum sie ihren neuen Beruf so schätzt. „Es war mir wichtig, mit Menschen zu arbeiten“, sagt sie. „Ich bin einfach glücklich, wenn ich neue Gesichter sehe. Kommunikation ist für mich das halbe Leben.“

„Wir sind Multitasker.“

Lokführer Gordon Doyen und ich haben inzwischen den Hamburger Hauptbahnhof passiert. Bis zu unserem Ziel, dem Bahnhof Altona, bleiben noch ein paar Minuten, um darüber zu sprechen, wie es kam, dass Gordon heute Lokführer ist. „Bevor ich im Frühjahr 2014 bei der nordbahn anfing, war ich 13 Jahre lang kaufmännischer Angestellter in einem Mobilfunkunternehmen“, sagt er. „Das immer Gleiche hat mich irgendwann zermürbt. Mit Mitte 40 wollte ich mich verändern.“

Dann habe er überlegt, was ihn früher eigentlich interessiert hat: ganz früh das Hobby Eisenbahn, dann das Reisen via Interrail-Ticket durch Deutschland und Europa, Verkehrspolitik – die Mobilität auf der Schiene zieht sich wie ein roter Faden durch seinen Werdegang. „Mut wird belohnt mit einem schöneren Leben“, sagt Gordon zufrieden und lächelt. „Heute frage ich mich, warum ich das nicht schon 30 Jahre früher gemacht habe.“ An seinen neuen Arbeitsrhythmus von Früh-, Mittel-, Spät- und Nachtschichten musste sich der Büromensch Gordon wie an vieles andere natürlich erst gewöhnen. Dafür gebe es aber einen vorläufigen Jahresdienstplan, der eine individuelle Freizeitgestaltung ermögliche.

Und wenn der Wunsch, etwas Neues zu machen, mal wieder bei ihm anklopft? „So schnell wird das nicht passieren“, sagt Gordon. „Mein neuer Beruf ist meine Komfortzone. Hier werde ich gefördert und unterstützt.“

„Mut wird belohnt mit einem schönem Leben.“

Am Parkplatz in Flintbek hat Wioletta heute fünf Minuten Pause. Eigentlich sind es ein paar Minuten mehr, doch auf der Strecke kam es zu Verzögerungen. Wioletta hat in ihrem Leben schon ganz verschiedene Berufe ausgeübt, sie hat einen sogenannten „bunten“ Lebenslauf. „Zuletzt habe ich im Kosmetikbereich gearbeitet“, verrät sie mir. „Irgendwann stand ich in der Pause draußen, so wie jetzt, und sah den türkisfarbenen NAH.SH-Bus vorbeifahren.

Da dachte ich: ‚Muss das schön sein!‘ Und da war die Entscheidung eigentlich schon gefallen.“ Wenn man so viel positive Energie hat wie sie, erscheint der Sprung ins kalte Wasser, den ein Berufswechsel zweifellos darstellt, leicht. Ihr Busfahrerkollege Rustam hatte in erster Linie pragmatische Gründe, mit der Qualifizierung zu beginnen: In seiner Heimat Russland arbeitete der studierte Jurist in seinem Fachbereich.

In Deutschland stellte sich heraus, dass sein Abschluss nicht anerkannt wird – eine neue berufliche Perspektive musste her für den damals 37-jährigen Familienvater von zwei noch kleinen Kindern. „Wenn man Familie hat, trägt man Verantwortung“, sagt er. „Ich hatte Verpflichtungen. Also musste ich eine Entscheidung treffen. Aber ich bin zufrieden, die Arbeit macht mir immer noch Spaß.“

„Ich bin glücklich, wenn ich neue Gesichter sehe.“

Wir suchen Menschen mit Lebenserfahrung

Enikö Löns, HR-Managerin bei der nordbahn, und ­Tsvetelina Bancheva, HR-Business-Partnerin bei DB ­Regio Bus, zu den wichtigsten Fakten eines Berufswechsels zum ÖPNV.

Wer kann sich bei Ihnen bewerben? 

Tsvetelina Bancheva: Als Busfahrer*in braucht man ein gewisses Standing, Verantwortungsbewusstsein sowie Verlässlichkeit. Erforderlich sind außerdem Sprachkenntnisse auf B1- bis B2-Niveau. Ansonsten natürlich Lust und Interesse, den Busführerschein zu machen. Wir freuen uns über jede Bewerbung. 

Enikö Löns: Für die Tätigkeit als Triebfahrzeugführer*in suchen wir Menschen mit Selbstbewusstsein und Lebenserfahrung. Meistens sind unsere Bewerber*innen zwischen 40 und 50 Jahre alt. Züge mit manchmal mehr als 500 Reisenden zu steuern, setzt eine reife Persönlichkeit voraus. Neben Zuverlässigkeit spielen technisches Verständnis und Kommunikationsfähigkeit für uns eine wichtige Rolle.

Wie genau läuft der „Umstieg“ ab?

Enikö Löns: Interessierte Bewerber*innen können uns gern eine Initiativbewerbung schicken. Die Ausbildung zum/zur Triebfahrzeugführer*in dauert dann in der Regel neun bis zehn Monate, je nachdem wie die Termine der Prüfungen liegen. Für die Quereinsteiger*innen, die oftmals mitten im Leben stehen, ist es zudem wichtig zu wissen, dass Triebfahrzeugführer*innen in Ausbildung bereits eine geregelte tarifliche Vergütung erhalten.

Tsvetelina Bancheva: Das gilt auch für unsere Qualifizierung zum/zur Busfahrer*in: Die rund dreimonatige Ausbildung wird voll vergütet. Allerdings verpflichten wir unsere Kandidat*innen, nach der Qualifizierung dann auch mindestens zwei Jahre bei uns zu bleiben.

Welche Arbeitsbedingungen können die Kandidat*innen erwarten? 

Tsvetelina Bancheva: Die DB Regio Bus, zu der die Auto­kraft GmbH gehört, ist eine 100-prozentige Tochter des DB-­Konzerns, der mit 280.000 Mitarbeitenden einer der größten Arbeitgeber Deutschlands ist. Wir offerieren den „Umsteiger*innen“ eine tarifliche Vergütung, Weihnachts- und Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen, ­Schulungen und eine langfristige Entwicklungsperspektive. 

Enikö Löns: Mit 150 Mitarbeitenden ist das Unter­nehmen nordbahn klein genug, um noch als „familiär“ durch­zugehen: Das macht uns aus und wir pflegen diese Kultur ganz bewusst. Zum Beispiel durch Gelegenheiten zum persönlichen Austausch über alle ­Abteilungen und ­Bereiche bis zur Geschäftsführung. Wir ­bieten unseren ­Angestellten neben einer tariflichen ­Vergütung sogar nicht tarifliche Goodies wie Fahrrad-Leasing, HVV-Ticket und Firmenfitness an.